SWR Notfall Rettung
Herzstillstand kann alle treffen, jede Sekunde zählt.
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Hier können nichtbinäre Personen leider keine gesonderte Auswahl treffen, weil dem SWR Data Lab keine entsprechenden Daten vorliegen.
Ein Rettungswagen vom Malteser Hilfsdienst ist auf einer Landstraße bei Marienborn (Sachsen-Anhalt) unterwegs.
Lies hier, wie die Politik auf die Missstände in der Notfall-Rettung reagiert.
Triggerwarnung: Dieser Artikel enthält explizite Beschreibungen und Audioaufnahmen von Notfällen. Diese können negative Gefühle oder Erinnerungen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei Dir der Fall ist.
Notfall in Deutschland
Du möchtest keine Angaben für einen persönlichen und regionalen Artikel machen. Du kannst die folgende Geschichte auch mit allgemeinen Daten über Deutschland und Herz-Kreislauf-Stillstände lesen.

Frauen und Männer kommen statistisch ab etwa 50 Jahren in die Wechseljahre. Das heißt, der schützende Hormonspiegel sinkt und das Risiko für einen Herzstillstand steigt. Egal, ob Du vorerkrankt bist oder nicht.
Wärst Du eine Frau über 50 Jahren, wären das womöglich Deine Symptome:

Stell Dir vor, Du fühlst dich am Morgen auf dem Weg zur Arbeit schlapp und benommen. Vielleicht schon seit Tagen. Die vergangenen Tage waren emotional herausfordernd, denkst Du Dir womöglich. Dir ist aber auch schlecht, Du schwitzt und schon vom Gehen durch den Park geht Dir die Puste aus. Du hast Herzklopfen. Dein Bauch tut weh. Dein Rücken auch. Vielleicht hast Du Dich verlegen? Vielleicht hast Du Dir auch einen Infekt eingefangen oder eine Magen-Entzündung. Nichts Schlimmes, denkst Du Dir. Wer gesund ist, macht sich wegen so etwas meist keine großen Sorgen. Aber alles dreht sich. Mit dem Schweiß, steigt auch Panik in Dein blasses Gesicht: Du wirst bewusstlos. Herzstillstand.
Die Symptome von Frauen sind oft noch vielfältiger, vage und schlechter erforscht. Sie unterscheiden sich so stark von denen der Männer, dass sie leicht mit anderen Leiden verwechselt werden können. Manchmal sogar von Ärzten. Frauen werden deshalb immer wieder spät, falsch oder gar nicht behandelt. Forschungsergebnisse über Symptome nichtbinärer Geschlechter hat das SWR Data Lab nicht gefunden.
Ab jetzt zählt jede Minute. Wer nicht reanimiert wird, stirbt. Wer zu spät Hilfe bekommt, wacht vielleicht mit bleibenden Schäden auf. Der plötzliche Herz-Kreislauf-Stillstand ist einer der tödlichsten Notfälle weltweit und gilt als wohl härteste Belastungsprobe für Rettungsdienste.

Laut Daten des Deutschen Reanimationsregisters wurden im Jahr 2023 mehr als 55.000 Menschen von Rettungsdiensten wiederbelebt. Das Durchschnittsalter der Betroffenen lag bei 70,1 Jahren. Davon waren zwei Drittel der Betroffenen männlich. 30 Prozent der Betroffenen hatten keine oder nur leichte Vorerkrankungen, die auf Risiken hingewiesen hätten. Nur 10 Prozent der Betroffenen überleben.

Es könnten viel mehr Menschen überleben. Das zeigen die Ergebnisse dieser investigativen SWR-Recherche.
Ideal und Realität
Geschlecht und Alter sind nicht die einzigen Faktoren. Stell Dir vor, es trifft nicht Dich, sondern Du siehst in einem Park eine Frau stürzen. Du eilst zu ihr, sie ist reglos und Du spürst keinen Puls. Du wählst den Notruf. Am Telefon wirst Du in einer standardisierten Abfrage nach Adresse, Situation und Zustand der Betroffenen gefragt. Während ihr sprecht, generiert eine Software in der Leitstelle das passende Einsatzstichwort und schickt es an die nächstmöglichen Ersthelfer, Sanitäter und Ärzte. Allen ist klar, jede Sekunde zählt. Dir wird am Telefon erklärt, wie Du die Frau wiederbelebst, bis der Rettungswagen eintrifft.

So sollte ein moderner Notruf ablaufen. Ein gemeinsamer, wissenschaftlich fundierter Standard für ganz Deutschland. Die Daten des SWR Data Lab zeigen: Die Realität sieht anders aus. Die 232 Leitstellen in Deutschland arbeiten sehr unterschiedlich und sind oft schlecht vernetzt.
Laut Expertinnen und Experten sollten Strukturierte oder Standardisierte Notruf-Abfragen, kurz SSNA, in Leitstellen Standard sein. Sie helfen den Leitstellen-Mitarbeitenden den Herz-Kreislauf-Stillstand am Telefon zu erkennen und schnell lebensrettende Maßnahmen einzuleiten.

Das SWR Data Lab hat im Jahr 2023 bei allen 283 Rettungsdienstbereichen in Deutschland Daten angefragt und diese mit ergänzenden Recherchen bis April 2024 in die Auswertung einbezogen.

Die folgende Karte zeigt, in welchen Rettungsdienstbereichen in Deutschland Leitstellen Strukturierte oder Standardisierte Notrufabfragen nutzen und wo sie fehlen.
Bist Du in Deutschland unterwegs, könnten fehlende Standards für Dich ein Problem werden. Mindestens ein Fünftel der deutschen Rettungsdienstbereiche nutzen eine solche Abfrage in ihrer Leitstelle nicht. In diesen Leitstellen hängen im Notfall wichtige Entscheidungen auch von der beruflichen Erfahrung und der Tagesform der Mitarbeitenden ab. Erfahrung kann besser sein als ein Standardverfahren – aber auch schlechter. Menschliche Fehler, wie falsche Einschätzungen, können im Notfall Menschenleben kosten.
Haben Mitarbeitende am Telefon zu lange gezögert, die richtigen Rettungskräfte loszuschicken oder eine Wiederbelebung anzuleiten? Waren alle Entscheidungen richtig? Immer wieder werden Notrufe mit solchen Fragen und Daten nachbesprochen, um die Qualitätsstandards der Leitstellen hochzuhalten und Mitarbeitende auf schwierige Situationen in der Zukunft vorzubereiten. Die Leitstellen können auch prüfen, ob alle Prozesse optimal laufen. In den Leitstellen spricht man bei all dem von einem sogenannten Qualitätsmanagementsystem.

Das SWR Data Lab hat im Jahr 2023 bei allen 283 Rettungsdienstbereichen in Deutschland Daten angefragt und diese mit ergänzenden Recherchen bis April 2024 in die Auswertung einbezogen.

Die folgende Karte zeigt, wo Leitstellen in Deutschland die Qualität ihrer Prozesse und Notrufe mit einem Qualitätsmanagementsystem prüfen.
Nur etwas mehr als die Hälfte der Rettungsdienstbereiche hat ein Qualitätsmanagementsystem in der Leitstelle. Die Übrigen verfügen über kein solches System oder haben keine Angabe dazu gemacht.
"In der Medizin, kann man sich nicht leisten, Qualität nicht zu messen", sagt Prof. Dr. Jan-Thorsten Gräsner mit Blick auf diese Karte. Er ist Institutsdirektor für Rettungs- und Notfallmedizin am Universitätsklinikum in Schleswig-Holstein. Gleichzeitig ist er auch Mitglied im Organisationskomitee des deutschen Reanimationsregisters, der größten deutschen Datenbank für die Beurteilung von Reanimationen im Rettungsdienst. Für ihn steht fest: "Wir müssen wissen, wie schnell, wie korrekt, wie patienten-wirksam eine Leitstelle agiert, denn sie ist Teil der medizinischen Versorgung und dementsprechend auch Teil eines zwingend notwendigen Qualitätsmanagements." Die Instrumente dafür gibt es seit Jahren. Die Umsetzung blieb vielerorts aus.
Rafael Trautmann, Sprecher der AG Leitstelle der Deutschen Gesellschaft für Rettungswissenschaften
Wir haben kein Wissensproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.
Rafael Trautmann, Sprecher der AG Leitstelle der Deutschen Gesellschaft für Rettungswissenschaften
Angst und Verantwortung
Bleibt das Blut in den Adern stehen, verlässt die Kraft den Körper. Betroffene kollabieren, schlagen auf dem Boden auf. Neben Blut tropft auch Speichel auf den Asphalt. Manche Menschen röcheln und krampfen, obwohl ihr Herz und Kreislauf steht. Ein Anblick, der viele zögern lässt. Auch Du würdest vermutlich den Notruf wählen, aber würdest Du helfen? Viele fühlen sich hilflos, umringen den leblosen Menschen. Sie sind unsicher, was zu tun ist. Die Angst, den Zustand zu verschlimmern und möglicherweise dafür von einem Gericht bestraft zu werden, lähmt.
Würdest Du die Reanimation beginnen?
Diese Ergebnisse sind nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung. Es handelt sich nur um Antworten der Leserinnen und Leser dieses Artikels.
Du merkst schon, was das Problem ist: Wenn jede Sekunde zählt, sind zögernde und untätige Beobachtende ein Überlebensrisiko. Wenige Minuten nach einem Herz- und Atemstillstand drohen Betroffenen schwere Gehirnschäden. Nach zehn Minuten geht die Überlebenschance gegen Null. Auch bei Dir.

Im Notfall sind alle gesetzlich dazu verpflichtet zu helfen, solange es zumutbar und ohne eigene Gefahr möglich ist sowie keine anderen wichtigen Pflichten im Weg stehen.
Deutschland lag im Europavergleich etwas unter dem Durchschnitt. Im Vergleich mit den meisten Nachbarländern halfen deutsche Umstehende in Notfällen seltener.
Allerdings wurden in Deutschland laut Deutschem Reanimationsregister im Jahr 2023 nur 51 Prozent der Menschen mit Herz-Kreislauf-Stillstand von Umstehenden wiederbelebt. Im Jahr 2019 lag die Quote noch bei rund 40 Prozent.
Laut der Denkfabrik Bad Boller Reanimations- und Notfallgespräche sollte die Reanimationsquote bei mindestens 75 Prozent liegen.

Studien zeigen, das ist möglich: Bereits 2019 begannen in der Tschechischen Republik, Norwegen und Irland rund 80 Prozent der Anwesenden die Herz-Druck-Massage.
In anderen Ländern, wie etwa in Rumänien, Serbien oder Portugal, war die Reanimationsquote deutlich schlechter als in Deutschland.
Neun von zehn Herzstillständen enden in Deutschland tödlich. Eine Herz-Lungen-Wiederbelebung in den ersten Minuten erhöht die Überlebenschancen um das Doppelte bis Dreifache. Wenn sich mehr Menschen eine sofortige Herzdruckmassage zutrauen würden, könnten jährlich Tausende Leben gerettet werden. Alle können dazu beitragen. Auch Du.

Beobachtest Du einen Herzstillstand, heißt das: Handeln, nicht Grübeln. Erst Notruf wählen, dann wiederbeleben und nicht aufhören, bis Hilfe da ist.
Dr. med. Harald Genzwürker, Leitender Notarzt im Neckar-Odenwald-Kreis
Man kann eigentlich nichts verkehrt machen. Die Person, die da bewusstlos am Boden liegt, ist prinzipiell tot. Alles, was ich tue, kann es eigentlich nur verbessern.
Dr. med. Harald Genzwürker, Leitender Notarzt im Neckar-Odenwald-Kreis
Freiwillige Lebensretter
Die Szene ist gespenstisch still. Du stehst mit anderen Menschen um die bewusstlose Frau am Boden. Der Notruf ist abgesetzt. Niemand traut sich zu helfen. Keine Wiederbelebung. Kein Rettungswagen – der ist erst von der Wache losgefahren.

Eine Frau in Sportkleidung joggt herbei. In ihrer Hand leuchtet ein Smartphone. Als Du den Notruf gewählt hast, wurde sie über eine App alarmiert. Sie ist freiwillige Ersthelferin und kann die Behandlungslücke zwischen Notruf und professioneller Hilfe füllen.
Die App prüft regelmäßig ihren Standort - und den von anderen First Respondern. So weiß die Leitstelle sofort, wer von ihnen den kürzesten Weg zum Notfall hat.
Die Joggerin ist am schnellsten da. Sie erkennt das Herzleiden, stützt sich auf der Brust ab. Sie beginnt eine Herz-Druck-Massage, erklärt Dir und den Umstehenden, wie Ihr helfen könnt.
Gleichzeitig macht sich ein zweiter Helfer auf den Weg. Die App führt ihn auf dem Weg erst zu einem sogenannten AED, einem automatischen externen Defibrillator.
Dann macht sich auch der zweite Helfer auf den Weg zur Betroffenen.
Während Ihr wiederbelebt, trifft der Helfer mit dem kleinen Kasten, dem AED, ein. Eine künstliche Stimme aus dem Gerät leitet an: "Klebeelektronen wie abgebildet fest auf den Brustkorb kleben." Misst der AED noch geringe Herzaktivität, kann eine Defibrillation, also ein Elektroschock, sinnvoll sein. Die Herz-Druck-Massage kann die nötige Herzaktivität auslösen.
Ein Alarmton ertönt: "Patient nicht berühren. Drei, zwei, eins." Ein Schock lässt die Muskeln des bewusstlosen Körpers für einen Augenblick verkrampfen. Erfolgreich. Das Herz schlägt wieder.
Nun heißt es warten.
Warten, ob der Herzschlag stabil bleibt. Warten, bis der Rettungswagen oder Notarzt eintrifft, um stabilisierende Medikamente zu geben. Oft kann der Herzschlag nicht dauerhaft bestehen. Laut Jahresbericht des Reanimationsregisters erreichte 2023 nur etwa jeder Dritte Patient ein Krankenhaus mit einem wiederhergestellten Kreislauf.
Scheitert die Defibrillation oder ist sie nicht möglich, heißt das für die Ersthelfenden: Herzdruckmassage ohne Pause. Das versorgt die Organe weiter mit Blut und Sauerstoff. First-Responder können oft schnell wiederbeleben. Studien belegen: Mit solchen Apps könnten überall in Deutschland Leben gerettet werden.
Das SWR Data Lab hat im Jahr 2023 bei allen 283 Rettungsdienstbereichen Daten angefragt. Diese wurden mit Daten von App-Anbietern kombiniert und bis zur Veröffentlichung aktualisiert. Die folgende Karte zeigt, welche Rettungsdienstbereiche in Deutschland eine First-Responder-App nutzen.
Mehr als die Hälfte der Rettungsdienstbereiche in Deutschland haben keine First-Responder-Apps. Hinzu kommt, dass die Helfer die Apps häufig nur in einem einzigen Rettungsdienstbereich nutzen können. Die eingesetzten Apps kommunizieren meist nicht über Bereichsgrenzen hinweg miteinander. Das führt zu einem ineffizienten Flickenteppich und kostet Menschenleben.

Dabei gebe es überhaupt keinen Grund, so eine App nicht zu betreiben, sagt Prof. Dr. Michael Müller gegenüber dem SWR. Er ist Chefarzt für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin in Freiburg und Mitgründer der App "Region der Lebensretter". Er erklärt: "Die Kosten sind minimal, der Aufwand ist minimal. Damit retten wir viel mehr Menschen, als wenn wir über andere Dinge wie Hilfsfristen und Rettungswachen diskutieren." Jedoch müssen die Rettungsdienstbereiche die Kosten dafür selbst tragen.
Prof. Dr. Jan-Thorsten Gräsner, Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein
Wir sehen erschreckend viele Bereiche, wo noch keine Ersthelfer-Apps eingeführt worden sind.
Prof. Dr. Jan-Thorsten Gräsner, Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein
Rettung oft zu spät
Die Minuten verstreichen. Helfer im Park drücken unaufhörlich, "eins, zwei, drei, vier", lösen sich beim Wiederbeleben ab. Schweiß tropft von der Stirn einer Helferin auf die Bewusstlose. Wie lang wäre Deine Ausdauer?

Hilfe in den ersten Minuten eines Herz-Kreislauf-Stillstands erhöht die Überlebenschancen massiv. Doch schließlich müssen professionelle Rettungskräfte rechtzeitig eintreffen, um den Betroffenen Medikamente zu verabreichen und sie in geeignete Krankenhäuser zu bringen. Nur so können die Ursachen behandelt und die Folgeschäden geringgehalten werden.

Jedes Bundesland hat eigene Gesetze für die sogenannte Hilfsfrist, also die Zeit, die der Rettungsdienst zum Notfall brauchen soll. Meist liegt sie zwischen 10 und 15 Minuten. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand muss es allerdings überall schneller gehen. Bereits nach wenigen Minuten erleiden Betroffene unumkehrbare Schäden – unabhängig von Gesetzen.

Im Jahr 2016 haben 30 Fachgesellschaften, Institutionen, Ministerien und Organisationen in einem Eckpunktepapier festgehalten: Bei einem plötzlichen Kreislauf-Stillstand sollten zwischen Notruf und Eintreffen erster ausgebildeter und ausgestatteter Helfer in 80 Prozent der Fälle nicht mehr als 8 Minuten vergehen. Auch das Deutsche Reanimationsregister kam in einem Bericht von 2023 zur gleichen Empfehlung.
Das SWR Data Lab hat in ganz Deutschland Daten für das Jahr 2022 angefragt und die Antworten ausgewertet. Die folgende Karte zeigt, wie oft die professionellen Rettungskräfte in unter 8 Minuten am Notfallort eintreffen.
158 Rettungsdienstbereiche, also etwa die Hälfte Deutschlands, übermittelten dem SWR Data Lab Daten zur Eintreffzeit. In 24 Bereichen trafen Rettungswagen oder Notärzte tatsächlich auch in mindestens 80 Prozent der Fälle in unter 8 Minuten bei den Notleidenden ein.

Mehr als 130 Bereiche verfehlten die Empfehlung der Fachgesellschaften. Ein Grund dafür ist auch, dass es in einigen Regionen Deutschlands immer wieder zu Personalengpässen kommt. Diese werden durch vermeintliche Notfälle weiter verstärkt, die in Arztpraxen behandelt werden könnten. Das kann Menschenleben kosten.
Ein Bild, das Prof. Dr. med. Matthias Fischer befürchtet hat, aber "dass es so schlecht ist, hätte ich nicht erwartet". Er ist Mitglied im Organisationskomitee des deutschen Reanimationsregisters, das ebenfalls die acht Minuten empfiehlt. Das Fatale: "Medizinisch ist es so, dass eigentlich diese Frist bei fünf Minuten sein sollte. Aber das ist extrem problematisch, weil wir nicht das Geld und das Personal haben, das zu erfüllen."
Für viele nicht erreichbar
Reanimation
Als der Rettungsdienst eintrifft, geht alles sehr schnell. Ersthelfende übergeben an Sanitäter und einen Arzt. Sie sprechen in medizinischen Abkürzungen, Geräte piepen, Werte werden vorgelesen. Ein Arzt schiebt eine Röhre in den Hals, eine Venenkanüle in die Hand der bewusstlosen Frau. Adrenalin wird gespritzt. Helfer reanimieren weiter, pumpen Luft in die Lunge.

Sechs Helfer heben die Frau auf eine Liege in den Rettungswagen. Unter ihr liegt eine Platte. Sie ist der Widerstand für einen mechanischen Arm, der die Frau unermüdlich wiederbelebt. Denn Betroffene müssen auf dem Weg ins Krankenhaus weiter behandelt werden.
Nicht jedes Krankenhaus ist für einen Herz-Kreislauf-Stillstand ausgestattet. In Deutschland sind dafür etwa 110 spezialisierte Cardiac Arrest Center zertifiziert. Alternativ können Betroffene auch in bestimmte Krankenhäuser mit Herzkatheterlabor gebracht werden. Davon gibt es 2024 etwa 560 in Deutschland. Es kommt immer wieder vor, dass Rettungswagen auf dem Weg zum Krankenhaus ihr Ziel ändern müssen, weil das Krankenhaus plötzlich doch keine Notfälle aufnehmen kann. Auch das kann wertvolle Zeit und Menschenleben kosten.

Während in manchen Regionen das nächste geeignete Krankenhaus nur wenige Minuten entfernt ist, gibt es auch Landstriche in denen mehr als eine Million Menschen leben, die länger als 30 Fahrminuten zum nächsten Krankenhaus brauchen – zu lange. Betroffene sollten in der Regel ab dem Herz-Kreislauf-Stillstand in nicht mehr als 60 Minuten im Krankenhaus ankommen.

Das SWR Data Lab hat für ganz Deutschland die Erreichbarkeit von Krankenhäusern in unter 30 Fahrtminuten berechnet. Die folgende Karte zeigt, wie die Klinikstruktur Mitte Juni 2024 für Reanimationen aufgestellt war.
Wenige Überlebende
Wenn Betroffene im Krankenhaus wachwerden, erinnern sie sich manchmal nicht, was passiert ist. All das, was Du gerade gelesen hast, die kritischen Momente vom Notruf über die erste Hilfe und das Eintreffen der Rettung bis zur Ankunft im Krankenhaus, ist vergessen. Doch genau diese Momente entscheiden, ob Betroffene das Krankenhaus lebend und ohne bleibende Schäden verlassen.

Dem SWR Data Lab liegen Daten darüber vor, ob Reanimationspatienten statistisch häufiger oder seltener lebend im Krankenhaus eingeliefert werden. Diese Daten stammen aus der Presseanfrage für 2022 und einer exklusiven Datenauswertung der Barmer-Krankenkasse für die Jahre 2020 bis 2022.
Das SWR Data Lab wollte wissen, wo in Deutschland 2022 Reanimationen besonders häufig erfolgreich waren. Als Erfolg gilt, wenn die angefragten Rettungsdienstbereiche eines der beiden Kriterien erfüllen:

Das Erste vergleicht, ob häufiger als statistisch erwartet, das Herz-Kreislaufsystem wieder in Gang gebracht werden konnte.

Das Zweite, ob es überdurchschnittlich oft gelang, die Reanimationspatienten mit Kreislauf auch in ein Krankenhaus zu bringen.

Nur knapp 90 Rettungsdienstbereiche erfüllen eines dieser beiden Kriterien.
Daher hat das SWR Data Lab weiter recherchiert. Die Barmer-Krankenkasse konnte exklusiv für diese Recherche für zahlreiche Rettungsdienstbereiche Werte statistisch hochrechnen. Die Berechnung berücksichtigt Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen des Herzens.
Allerdings waren dabei in mehreren Rettungsdienstbereichen die Fallzahlen zu niedrig, um hochgerechnet werden zu können. Hier hat die Barmer Krankenkasse mehrere Bereiche zusammengefasst, um statistisch valide zu sein. Dadurch kann in ganz Deutschland verglichen werden, ob mehr Patienten als statistisch erwartet ins Krankenhaus eingeliefert wurden oder weniger.
Die vorliegende Hochrechnung versucht sich der Realität anzunähern: Durch die Zusammenfassung dieser Daten entsteht erstmals ein Überblick, der einen Hinweis darauf gibt, wo in Deutschland Reanimationen besonders oft erfolgreich sind.
im Überblick
Das SWR Data Lab will mit dieser Recherche auf die einzelnen Schritte in der Rettungskette aufmerksam machen und regionale Unterschiede identifizieren. Nur wo strukturelle Missstände benannt werden, kann die Öffentlichkeit Druck auf Verantwortliche ausüben. So können Recherchen etwas bewirken. Nicht nur Entscheidungen der Regierungen oder Rettungsdienste sind für die vermeidbaren Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Stillstand verantwortlich. Auch eine Gesellschaft, die aktiv hilft, ist überlebenswichtig. Dazu zählen Rettungsgassen auf Autobahnen, Notrufe nur in Notfallsituationen und nicht zuletzt das Erste-Hilfe-Leisten vor Ort. Du kannst das Leben anderer retten. Auch Deines hängt von anderen ab.

Die Daten können Dir Angst machen. Aber nicht immer geht ein Herzstillstand mit dem Tod oder Einschränkungen einher. Selbst wenn in der Rettungskette nicht alles perfekt abläuft.

Das SWR Data Lab hat Daten zu den kritischen Momenten in der Rettungskette ausgewertet und die einzelnen Kernthemen für ganz Deutschland in einer Übersicht bewertet. Egal, ob Deine Region besonders gut oder schlecht abschneidet, es gibt immer und überall etwas zu verbessern. Jede Verbesserung kann Leben retten.

Autoren: Jan Russezki, Maren Krämer

Rechercheteam: Gina La Mela, Tom Burggraf, Patrick Hünerfeld, Katharina Forstmair

Webentwicklung: Simon Jockers, Felix Michel, David Will

Datenanalyse und Automatisierung: Ulrich Lang, Ina Kohler, Natalie Widmann

Data Engineering: Heiko Sonnenberg, Michael Kreil

Redaktion und Produktion: Nico Heiliger, Johannes Schmid-Johannsen, Elisa Harlan

Design und Illustrationen: needs people GmbH